Svetlana Savickaya

Das Tannenbäumchen mit den Handschuhen und ein Liedchen ohne Reim

© Agnes Gossen-Giesbrecht, Bonn

© Illustration von Svetlana Savickaya, Moskau

Sanja  und Wanja gingen in den Wald und sangen dabei ein Liedchen:
„Dem kleinen Tannenbäumchen ist es kalt im Winter.
Wir holen es aus dem Walde zu uns nach Haus...“

„Schau mal, Wanja, das  Tannenbäumchen!“ Sanja zeigte auf ein kleines, üppig grünes Bäumchen am Straßenrand, zog sein kleines Beil aus der Tasche und packte es fest an.
„Was hast du da in der Hand?“ fragte plötzlich das Tannenbäumchen mit der Stimme eines Menschen.
„Das ist ein Beil. Wir fällen dich und nehmen dich zu uns mit nach Hause“, antworteten die Jungen.
„Fällt mich bitte,  bitte nicht“, klagte  das Tannenbäumchen. „Ich bin doch noch so klein.“
„Wir sind auch klein“, antwortete Wanja, „und wir brauchen genau so eine kleine Tanne zum Weihnachtsfest. Bei uns ist es warm, wir laden alle Mädchen und Jungen von unserem Hof ein und werden ein Liedchen singen.“
„Und danach?“ fragte das Tannenbäumchen.
Die Kinder ließen die Köpfe hängen. Sie schämten sich, weil sie im letzten Jahr nach dem Fest genau so eine kleine Tanne einfach auf den Müll geworfen hatten.
„Aber es ist hier doch so kalt für dich“,  fand Wanja einen Ausweg.
„Ja, mir ist es kalt“, antwortete das Tannenbäumchen jämmerlich und begann zu weinen.
„Hör  mal“, schlug Sanja vor, „wir brauchen das Bäumchen doch nicht zu fällen. Ich habe Handschuhe. Ich ziehe sie ihm an und es ist ihm dann schon viel wärmer.“
 „Und was ist mit unserem Liedchen?“
„Wir können uns doch ein anderes Lied ausdenken. Darüber, dass es dem Tannenbäumchen im Winter kalt ist und wir ihm Handschuhe übergestreift haben. Und dass wir sehr, sehr fröhlich das Weihnachtsfest gefeiert haben.“
„Aber das reimt sich ja doch gar nicht“.
„Na und? Gib mal deine Handschuhe her. Das Bäumchen hat so viele Zweige und meine allein reichen nicht aus.“ Die Kinder zogen der kleinen Tanne ihre Handschuhe an. Dann machten sie sich auf den Rückweg  und sangen:
„Dem kleinen Tannenbäumchen ist es kalt im Winter.
Wir holen es nicht aus dem Walde zu uns nach Haus...
Wir schenken ihm stattdessen Handschuhe und feiern bald sehr, sehr fröhlich
Weihnachten ...“
Dieses Liedchen ohne Reim hörten die Eichhörnchen, die Häschen und die kleinen Wolfskinder. Es hörten auch die großen Tannen und Fichten. Allen tat das Tannenbäumchen leid.
 

Da begannen die Tiere im ganzen Wald nach vergessenen oder verlorenen Pelzhandschuhen und gestrickten Wohlhandschuhen zu suchen.

In allen Winkeln des Waldes fanden sich welche.
Sie schmückten mit ihnen das Tannenbäumchen -  und es wurde ihm wärmer.
Die Kinder kamen ohne ein Tannenbäumchen aus dem Wald zurück. Schon trafen die ersten Gäste ein. Weihnachten stand vor der Tür. Was sollten sie nur  machen? - Die Kinder beschlossen, das Tannenbäumchen im Wald zu besuchen.
Bald waren sie da und staunten. Das Tannenbäumchen war mit vielen Handschuhen behangen,  solchen von Kindern und Erwachsenen!
Sie tanzten einen Reigen um das Tannenbäumchen herum und sangen das neue Lied, auch wenn es nicht gereimt war,  und alle waren fröhlich und zufrieden.
 

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